Es ist das Jahr 2022. Wir befinden uns in New York City. Es ist unerträglich heiß in der unsagbar überfüllten Stadt. Überbevölkerung und der Treibhauseffekt haben den meisten Menschen das Leben extrem schwer gemacht. Menschen drängeln sich und schubsen einander durch die verschmutzen Straßen. Die Infrastruktur der Stadt ist zusammengebrochen. Wasser ist rationiert und frische Lebensmittel gibt es praktisch nicht. Vielmehr ernährt sich der Großteil der Bevölkerung von Soylent Green, geschmacklosen grünen Waffeln, die aus Meeresvegetation hergestellt werden. Aber auch Soylent Green wird immer wieder knapp und die Menschen hungern. Nichts geht mehr. Nichts funktioniert mehr. Es gibt kaum noch Luft zum Atmen.
Es ist unfassbar unheimlich, im Jahr 2022 diesen alten US-amerikanischen Sciencefiction-Streifen zu schauen und schon im Vorspann auf Menschen mit Masken im Gesicht zu treffen. Soylent Green erzählt von einer Welt, die mehr mit unserer eigenen gemeinsam hat, als uns lieb sein kann. Der Film erzählt von einer Welt, in der Menschen das Ende der Natur erleben. Er erzählt von uns.
Das Überraschende an dieser Ökotragödie ist aber nicht nur, dass sie im Jahr 1973 den ökologischen Kollaps auf das Jahr 2022 datiert, sondern auch den Kollaps des Feminismus. In Soylent Green heißen Frauen „furniture“. Der Film spricht also sehr deutlich von Frauen als Mobiliar, als Inventar, als Gebrauchsobjekten, als Verfügungsmasse.
Wie Soylent Green das Ende des Feminismus fantasiert, wie dieses Ende mit der ökologischen Katastrophe zusammenhängt - und wie eindringlich und schlüssig dieser Zusammenhang veranschaulicht wird - ist das Thema dieses Artikels.
Der Grundkonflikt der Handlung ist schnell erzählt: Die Bevölkerung von New York City beträgt inzwischen 40 Millionen. Das Chaos in der Stadt, der Hunger und die ständige Hitze sind unerträglich geworden. In diesem Szenario wird Detective Robert Thorn (gespielt von Charlton Heston) beauftragt, den Tod von William Simonson zu untersuchen. Als ultrareiche, ultraprivilegierte Person muss Simonson (gespielt von Joseph Cotten) keine der Härten erleiden, denen sich die normalen New Yorker Bürger täglich ausgesetzt sehen. Er wird in seinem Luxusappartment mit einem Schlag auf den Kopf getötet, und alles macht den Anschein, als sei der Mann das unbeabsichtigte Opfer eines Raubüberfalls geworden. Aber Detective Thorn hat es früh im Gespür, dass er es mit einem gezielten Attentat auf Simonson zu tun hat. Vom lebendigen Mobiliar der luxuriösen Wohnung Shirl (gespielt von Leigh Taylor Young), erfährt Thorn, dass Simonson seit einer Weile ausgesprochen deprimiert und lustlos gewesen war. Weiterhin findet er heraus, dass Simonson Vorstandsmitglied der Soylent Corporation war. Was, fragt sich Thorn, kann einen so reichen und wichtigen Mann, einen, dem aller verfügbarer Luxus offen steht, unglücklich machen!
Am Ende des Films erfahren wir gemeinsam mit Thorn die von der Soylent Corporation gut gehütete Wahrheit. Diese ist so grausam, dass sie Simonson das Leben kostete und ich sie hier um nichts auf der Welt spoilern werde.
Während Thorn die Luxuswohnung des Ermordeten auf Spuren untersucht, hat er keine Skrupel, sich an allem zu bedienen, was ihm gefällt, inklusive dem lebendigen Mobiliar darin. Schließlich wird Shirl zusammen mit den anderen Gegenständen vermietet und steht wie fließend Wasser und Seife zum Gebrauch bereit.
Shirl mag es nicht, als „furniture“ angesprochen zu werden. Thorn tut ihr den Gefallen und nennt sie bei ihrem Namen. Das nimmt sie für ihn ein. Sie mag ihn. Offenbar ist sie genügsam, was ihre Erwartungen an Männer betrifft. Er verletzt sie nicht und bemerkt stattdessen, dass sie für ein Möbelstück sehr wenige blaue Flecken habe. Ja, Simonson sei gut zu ihr gewesen. Sie hoffe auf einen erträglichen Nachmieter.
In einer späteren Szene sehen wir Shirl, wie sie sich gemeinsam mit anderen Mietfrauen die Zeit vertreibt. Die Zusammenkunft wird jäh unterbrochen vom Hausmeister der Wohnanlage, der die „Möbel“ mit Gewalt diszipliniert. Thorn, der zufällig auftaucht, setzt dem ganzen ein Ende. Als Zuschauer schlussfolgern wir: In dieser dystopischen Zukunft gibt es solche und solche Männer. Die „Guten“, „Empathischen“, wie Thorn oder Simonson, gebrauchen das Mobiliar, aber zerschlagen es nicht.
Auf drastische Weise machte Soylent Green bereits vor rund 50 Jahren darauf aufmerksam, dass Frauen von ökologischen Katastrophen wie Überschwemmungen, Dürren, Tsunamis oder Bränden anders betroffen sind als Männer. Da Frauen auf der ganzen Welt weniger Rechte, weniger Geld und weniger Freiheiten haben, trifft es sie in Momenten extremer Verluste oft am härtesten. Wie Umweltaktivistin und Autorin Katherine Wilkinson erklärt:
„Bei einer Naturkatastrophe besteht ein höheres Vertreibungsrisiko und eine höhere Wahrscheinlichkeit, verletzt oder getötet zu werden. Eine anhaltende Dürre kann zu einer frühen Heirat führen, da Familien mit Knappheit zu kämpfen haben. Überschwemmungen können als letztes Mittel zur Prostitution zwingen, wenn Frauen kämpfen, um über die Runden zu kommen. Diese Dynamik ist unter Armutsbedingungen am akutesten.“
Klassische Familienverbände gibt es in der Welt von Soylent Green nicht mehr. Männer genießen noch gewisse Privilegien in besser bezahlten Berufen, wenn es auch genügend Arme unter ihnen gibt. Frauen wie Männer streiten sich in den Straßen New York Citys um die künstlichen Nahrungsmittel - neben Soylent Green gibt es noch Yellow, Blue und Red. Viele Frauen nächtigen in Treppenaufgängen. Menschen sind gezwungen, in Armut zu leben, weil der Kapitalismus außer Rand und Band geraten, und die natürlichen Ressourcen der Erde zerstört sind. Anders als die Frauen auf der Straße scheint Shirl ein Leben in Saus und Braus zu führen. Aber auch ihre Welt ist eine der Beziehungs- und Bedeutungslosigkeit sowie der Leere. Wir sehen, wie sie sich an einer Spielkonsole die Zeit vertreibt; dann, wie sie unter Begleitung eines Bodyguards eine Art Lebensmitteltresor aufsucht, der die Anmutung eines Hochsicherheitsgefängnisses hat. Der Tresor ist so gut wie leer. Selbst der ultrareiche Simonson konnte vor seinem Tod nur wenige rare noch verfügbare natürliche Lebensmittel wie Obst, Gemüse und Fleisch organisieren.
Als er Simonsons Appartment untersucht, reißt Thorn sich auch diese kostbaren Lebensmittel unter den Nagel. Shirl lächelt, während er alles zusammen rafft.
Der Film lässt keinen Zweifel offen: das, was für Thorn unfassbarer Luxus ist, ist eine armselige Illusion einstigen Reichtums. Dies wird besonders deutlich, als Thorn seine Beutestücke in seine enge kleine Wohnung verlagert und sie mit seinem älteren Mitbewohner Sol Roth teilt (gespielt von Edward G. Robinson).
Sol, der einst Professor war, als es noch Universitäten gab, hat als Kind noch echte Natur erlebt. Er kann das kuriose Stück Obst korrekt als Apfel identifizieren. Der Anblick des kleinen Apfels und einer welken Stange Lauch treibt dem alten Mann Tränen des Glücks und der Erinnerung in die Augen. Er zaubert aus dem Gemüse und einem winzigen Stück Fleisch einen undefinierbaren braunen Brei, den die beiden mit Plastikgabeln unter Hochgenuss verspeisen.
Ein kleiner Apfel, welker Lauch, ein armseliges Stück Fleisch und eine gefügige, gemietete, Frau: dies sind die Reste der „Natur“, die die Männer in Ekstase versetzen. Auf diese Weise wird deutlich, dass die ausgesprochen attraktive „Shirl“ für eine Idee von Weiblichkeit steht, deren „Natur“, bei rechtem Licht betrachtet, verkümmert ist. Shirls Weiblichkeit, auch wenn sie perfekt zu Thorns Wünschen passt, so legen es die anderen kärglichen Objekte Apfel, Lauch und Fleischstück nahe, fällt gegenüber dem, was an Weiblichkeit verloren sein mag, ausgesprochen defizitär aus.
Diese in den 70er Jahren entstandene Vision einer zukünftigen ökologischen Katastrophe im Jahr 2022 liefert uns also alles andere als das, was wir klassischerweise unter einer ‘progressiven’ oder ‘emanzipierten’ Frau verstehen, sondern ihr genaues Gegenteil: einen Rückschritt in die 50er Jahre. Das Möbelstück Shirl ist stets sexuell gefügig und makellos attraktiv. Sie achtet darauf, sich jung zu halten. Vage wird angedeutet, dass sie Mittel und Wege dafür weiß, denn sie ist deutlich älter, als sie wirkt. In der Gesellschaft anderer Frauenobjekte kümmert sie sich ebenfalls um ihr Äußeres. Ist sie allein, vertreibt sie sich die Zeit mit anspruchsloser Unterhaltung.
Thorn benutzt Shirl als Objekt, während er seiner Arbeit nachgeht, aus dem einfachen Grund, weil er es kann. Er bekommt jedoch nicht die Gelegenheit, den echten, wahrhaftigen Luxus weiblicher Autonomie zu erkennen, der dem älteren Sol vertraut zu sein scheint.
Den Resten weiblicher Autonomie begegnen wir, als der alte Sol verspricht, seinen Mitbewohner bei der Lösung des Falls zu unterstützen, denn Thorn hat festgestellt, dass ihn der Gouverneur von New York bei den Ermittlungen behindert. Sol arbeitet auf seine alten Tage als „living book“, als lebendiges Buch, denn auch gedruckte Bücher sind eine Rarität geworden. Er macht sich auf, um sich mit weiteren lebendigen Büchern zu treffen. Er hat die Hoffnung, auf diese Weise mehr über die Soylent Corporation in Erfahrung zu bringen, den Arbeitgeber des Mordopfers.
Die „Bücher“ arbeiten an einem Ort, der „Supreme Exchange“ heißt, der Hauptaustausch. Dort haben nur „autorisierte“ lebendige Bücher, wie Sol eines ist, Zutritt. Da es keine Universitäten mehr gibt, sind die verbleibenden Bücher aus Papier, die dort verwahrt werden, und die Menschen, die als Bücher autorisiert sind, alles, was an zivilisatorischem Wissen der Menschheit übrig geblieben ist.
Ein Blick auf die Szene im Exchange zeigt, dass die autorisierten Bücher, die Sol trifft, mehrheitlich Frauen sind. Auch die Leiterin des Supreme Exchange ist eine Frau.
Wie an den Screenshots zu erkennen ist, vertreten die Frauen im Exchange bereits äußerlich einen deutlichen Kontrast zu Shirl: Sie sind sämtlich alte Frauen. Ihre Kleidung ist schlicht und praktisch, ihre Haartracht kurz, und ihre Aufmachung unterscheidet sich nicht wesentlich von der der männlichen Bücher. Auch diese Frauen sind, wie die sexualisierte Shirl, nach ihrer Funktion benannt, allerdings mit dem Unterschied, dass ihre Funktionen auch von Männern bekleidet werden. In der Unterredung der Bücher untereinander sehen wir einen gleichberechtigen, respektvollen Austausch unter Vertrauten. Wir ahnen: Im Jahr 2022 ist nicht nur das zivilisatorische Wissen vom Aussterben bedroht, sondern mit ihm die gleichberechtigte oder auch leitende Teilhabe insbesondere der Frauen und jungen Menschen an diesem Wissen.
Die Unterredung der Bücher im Exchange stellt einen wichtigen Wendepunkt im Film dar: Sie lässt erkennen, dass die Bücher das grausame Geheimnis von Soylent Green gemeinsam gelöst haben.
Hier ist der Dialog, der zeigt, dass die lebenden Bücher das Problem verstanden haben, während Thorn und die Zuschauer sich noch etwas bis zur Auflösung des Rätsels gedulden müssen [meine Übersetzung]:
Sol: Wie furchtbar!
Leiterin des Exchange: Sie müssen das akzeptieren.
Sol: Ich kann die Worte lesen, aber nicht wirklich glauben, was da steht.
Leiterin des Exchange: Glauben sie es. Die Beweislage ist mehr als eindeutig. Simonson war Mitglied des Vorstands. Er hat die Fakten erfahren, und das hat ihm seine psychische Gesundheit gekostet. Die Firma wusste, dass auf ihn kein Verlass mehr sein würde. Sie haben befürchtet, dass er reden würde. Also haben sie ihn eliminiert.
Sol: Aber warum machen sie das!
Leiterin des Exchange: Weil es einfacher ist. Man könnte auch sagen: zweckdienlich. Wir müssen jetzt Beweise dafür liefern für das, was sie tun. Bevor wir das an den Rat der Nationen herantragen.
Sol: Herrgott im Himmel.
Leiterin des Exchange: Welcher Gott, Mr. Roth? Wo soll der sein?
Sol: Zuhause vielleicht. Ja. Zuhause.
Wie sich herausstellen wird, meint Sol mit Zuhause seinen eigenen Tod, der im Film als Rückkehr zur Natur inszeniert ist. Sol kehrt heim - wenn er sich seinem Zuhause auch nur durch alte Filmaufnahmen noch einmal vergewissern kann. Denn das, was 1973 noch allgenwärtig war, ist 2022 vergangen.
Um die fundamentalen Probleme ihrer dystopischen Umwelt von 2022 zu verstehen, kommen im Supreme Exchange also alte Menschen zusammen, die in den 1970ern jung waren. Sie lesen Schriften, an die nur sie sich erinnern, Schriften, von deren Existenz nur sie wissen, und analysieren sie gemeinsam.
Ein Schelm, wer sich dabei an die feministische Bewegung der 70er Jahre erinnert fühlt, an den Reichtum an radikalfeministischer Analyse, die die Universitäten später im Zuge queerer/postmoderner Theorie als „essentialistisch“ verbannen sollten, und die alt gewordene Feministinnen heute außerhalb der Universitäten im Austausch mit der jungen Generation vermitteln.
Ein Schelm, wer dabei an die Consciousness Raising (CR) Gruppen denkt, die Gruppen feministischer Zusammenkunft der 60er und 70er Jahre, in denen Frauen ihre Alltagserfahrungen verglichen, analysierten, systematisierten und in politische Forderungen verwandelten. Die Ironie der Geschichte will es, dass diese Gruppen ihren Ursprungsort in New York City hatten. Von dort verbreiteten sie sich in den Ländern der ‘westlichen’ Welt und wurden zum Hauptinstrument radikalfeministischer Bewusstseinsbildung und organisatorisches Rückgrat der Bewegung.
Wo sind die Erfolge dieser Zeit geblieben?
Soylent Green verweist darauf, dass der Feminismus der 70er Jahre nicht nur den drohenden ökologischen Kollaps auf dem Schirm hatte, sondern auch seinen eigenen Untergang am Horizont aufscheinen sah. Soylent Green zeichnet ein dystopisches Bild davon, was mit der Erde passieren wird, wenn die Befreiung der Frauen nicht erreicht wird.
Letztlich ist die Botschaft des Films: Befreien wir die Frauen, befreien wir die Erde. Gelingt uns das nicht, ist es unser Untergang.
Let’s go.
© Sister Eco, 11. Juni 2022.
Sehr gelungene Analyse. Vielen Dank! Ich kenne den Film noch gar nicht, kann mir aktuell aber kaum dystopische Dinge ansehen, weil ich die Realität schon so verstörend finde. Und sehr klasse, dass Du jetzt auch hier schreibst. :-)